Zehn Jahre hat die gebürtige Bremerhavenerin Silke Böschen an ihrem historischen Roman „Träume von Freiheit“ gearbeitet: Sie hat Archive durchstöbert, Dokumente gesichtet, mit Nachfahren gesprochen. Es geht um einen fast vergessenen Anschlag in der Seestadt – und um das Schicksal zweier Frauen.
Als Silke Böschen die Schiffsglocke der „Mosel“ in den Händen hält, ist sie sichtlich bewegt. Die Glocke ist eines der wenigen Dinge, die von dem einstigen Auswandererschiff noch existieren. Der Gegenstand lagert im Depot des im Umbau befindlichen Deutschen Schifffahrtsmuseums Bremerhaven. Für die Journalistin hat das Museum die Glocke extra aus dem Regal geholt und ausgepackt. Denn die 50-Jährige hat eine besondere Beziehung zu ihr: Zehn Jahre lang hat sie sich mit der Geschichte der „Mosel“ beschäftigt, die vor 145 Jahren die Schlagzeilen dominierte. Am 11. Dezember 1875 verübte ein Attentäter in der Seestadt einen spektakulären Anschlag auf das Schiff, mehr als 80 Menschen starben. Über die so genannte Thomas-Katastrophe hat Silke Böschen einen Roman geschrieben.
„Es war schon immer ein Traum von mir, ein Buch zu schreiben“
Im Fokus steht allerdings das Schicksal zweier Frauen. „Träume von Freiheit – Flammen am Meer“ heißt das Buch – es ist das erste der gebürtigen Bremerhavenerin. Bundesweit bekannt wurde sie als Fernseh-Moderatorin der ARD-Sendungen „Sportschau“ und „Kontraste“. Außerdem moderierte sie den Sportteil in den „Tagesthemen“. Inzwischen lebt die Mutter zweier Töchter mit ihrer Familie in Hamburg, sie ist als Fernsehreporterin unterwegs und arbeitet als Kommunikationstrainerin. Alle Tätigkeitsfelder bereiten ihr viel Spaß, wie sie sagt, aber: „Es war schon immer ein Traum von mir, ein Buch zu schreiben.“ Zunächst fehlte jedoch die Zeit – und ein passendes Thema. Das änderte sich, als vor elf Jahren ihre erste Tochter zur Welt kam und sie ihre beruflichen Aktivitäten ein wenig zurückschraubte.
„Ich habe meiner Tochter abends zum Einschlafen Kinderbücher vorgelesen“, erzählt Silke Böschen. „Irgendwann habe ich gedacht: Sie versteht sowieso noch nicht, was ich lese, da kann ich auch ein Buch nehmen, das mich interessiert.“ Es sei schließlich um die beruhigende Wirkung ihrer Stimme gegangen. Die Journalistin lebte damals in Frankfurt am Main, ihr Interesse galt aber weiterhin ihrer alten Heimat im Norden. Und so holte sie als Vorleselektüre die Chronik der Stadt Bremerhaven aus dem Regal. Beim Lesen seien nicht nur ihrer Tochter die Augen zugefallen, sondern regelmäßig auch ihr – bis sie auf die Thomas-Katastrophe stieß und völlig elektrisiert war.
Intensive Recherche in Archiven und Passagierlisten
„Von dem Anschlag hatte ich in meiner Zeit in Bremerhaven nie etwas gehört“, erzählt sie. Dabei absolvierte sie hier ihr Abitur und ein Zeitungsvolontariat, arbeitete bei der „Nordsee-Zeitung“ ein Jahr als Redakteurin, bevor sie für ein Journalistik-Studium in Dortmund aus der Seestadt fortzog. „Die Tat geriet wohl wegen der zwei Weltkriege später total in Vergessenheit“, sagt sie. Als ihre Tochter damals eingeschlafen war, setzte sie sich an den Computer und fing an zu recherchieren, erzählt sie: „Die Geschichte hatte mich gepackt.“ Dieses Gefühl ließ sie zehn Jahre nicht mehr los. Was sie an Daten, Briefen und Zeitungsberichten in zahlreichen Archiven und Passagierlisten fand, bestätigte sie in ihrem Vorhaben: aus dem historischen Stoff einen Roman zu schreiben.
Bremerhaven war damals „New Yorks deutsche Vorstadt“
Die „Thomas-Katastrophe“ war der schwerste Bombenanschlag bis dahin in der deutschen Geschichte. Der Attentäter, der hoch verschuldete Kanadier William King Thomas, hatte mit einer der ersten Zeitbomben der Welt einen Versicherungsbetrug geplant. Er wollte die Bombe, die er in einem Gepäckstück versteckt und das er als vermeintlich wertvolle Fracht versichert hatte, auf dem Atlantik explodieren lassen. Bremerhaven galt damals als „New Yorks deutsche Vorstadt“, von dort aus brachen reihenweise Auswanderer nach Übersee auf. Auch die „Mosel“ war auf dem Weg dorthin.
Doch das schwere Fass von William King Thomas detonierte bereits beim Verladen an der Pier: über 80 Menschen starben, fast 200 wurden verletzt. Der Attentäter schoss sich anschließend selbst in den Kopf, er starb Tage später. Er hinterließ eine Ehefrau und vier kleine Kinder. Die Bombe löschte auch fast die ganze Familie einer anderen Frau aus, der Bremerhavenerin Johanne. „Als ich auf diese Frauenschicksale stieß, habe ich mich auf ihre Spuren begeben“, sagt Silke Böschen.
Historische Frauenfiguren dienten als Grundlage für den Roman
Es sei nicht immer einfach gewesen, etwas über die beiden herauszubekommen. „Frauen verschwanden meist mit der Heirat aus den Registern, weil sie weniger im öffentlichen Leben standen.“ Doch die Autorin blieb hartnäckig. „Die Recherche hat mir genauso viel Spaß gemacht wie das Schreiben.“ Nach der Katastrophe in Bremerhaven floh die Ehefrau des Täters, Cecelia, mit den Kindern in die USA. Drei Jahre später verließ auch Johanne Bremerhaven und begann in New York ein neues Leben. Die „Mosel“ fuhr nach dem Anschlag weiter, havarierte schließlich aber 1882 vor Cornwall. Die Menschen an Bord konnten gerettet werden, der Dampfer nicht.
Zweiter Roman ist bereits in Arbeit
Der historische Roman über die beiden Frauen kommt bei Leserinnen, aber auch bei Lesern gut an: Der Verlag ließ bereits die dritte Auflage drucken, eine Hörbuchfassung ist in Arbeit. Zurzeit schreibt Silke Böschen an einem zweiten Buch, das nächstes Jahr erscheinen soll. „Es geht wieder um ein Frauenschicksal.“ Auf dieses war sie ebenfalls während ihrer Recherchen gestoßen. Und so viel sei verraten: Später soll ein drittes Buch die Reihe „Träume von Freiheit“ vervollständigen.