Die Bremerin Chantal Bausch macht sich für Organspenden stark
Seit der Verbreitung des Coronavirus kennt sich wohl jeder mit Hygienemaßnahmen aus. Für Chantal Bausch sind diese schon lange Standard. Mit elf Jahren erkrankte die Bremerin an einer Herzmuskelentzündung. Ihr Leben stand auf dem Spiel. Schließlich war klar, dass sie nur ein Spenderherz retten konnte. Seit der Operation muss sie Medikamente nehmen, die ihr Immunsystem herunterfahren. „Das bedeutet, dass ich generell sehr viel anfälliger bin, mir etwas einzufangen und muss entsprechend aufpassen“, sagt die 27-Jährige. Jede Erkrankung würde ihr Immunsystem aktivieren, was zu einer Abstoßung ihres Spenderherzens führen und damit lebensbedrohlich werden könnte. „Das war allerdings schon vor Corona so.“ Aktuell sei die Situation natürlich eine noch extremere als sonst, deshalb isoliere sie sich zu Hause. „Glücklicherweise steht mir meine Familie unterstützend zur Seite und kümmert sich um meine Versorgung“, sagt sie.
Erfolgreiche Torhüterin beim Bremer Hockey-Club
In normalen Zeiten würde sie eigentlich zum Training gehen. Die groß gewachsene junge Frau ist Torhüterin beim Bremer Hockey-Club. Gerade hat sie mit ihrem Verein in der Hallensaison der zweiten Bundesliga knapp den Wiederaufstieg in die erste Liga verpasst. Das Training ist nun ersteinmal komplett ausgesetzt. Die gute Laune lässt sich die 27-Jährige dadurch nicht verderben. Jede Sportlerin hat einen Trainingsplan bekommen, der individuell zu Hause umgesetzt werden kann. Sport hat die Bremerin schon als Kind begeistert – sowohl vor und als auch nach der lebensrettenden Operation.
„Ich habe eine zweite Chance bekommen“
2005 kam der rettende Anruf mit der Nachricht, dass ein passendes Organ vorhanden sei. Für Chantal Bausch ist der 8. Juni seither ein zweiter Geburtstag. Nach insgesamt einem Jahr in Kliniken, an Schläuchen und Apparaten konnte sie nach Bremen und in ihr früheres Leben zurückkehren. Schritt für Schritt. Das ist jetzt 15 Jahre her. „Ich habe eine zweite Chance bekommen.“ Nicht alle hätten so viel Glück. „Ich möchte aus meiner Geschichte etwas Positives ziehen, indem ich aufkläre. In der Hoffnung, dass Menschen sich mit der Organspende auseinandersetzen.“
Zu wenig Organspenden in Deutschland
Deutschland gehört mit einer Rate von 11,2 Spendern pro eine Million Einwohner laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) zu den Schlusslichtern im internationalen Vergleich. 2019 stellten 930 Menschen nach ihrem Tod Organe zur Verfügung, dem gegenüber standen zum Jahresende über 9.000 schwerkranke Patienten auf der Warteliste. 2010 gab es noch fast 1300 Organspender – 2012 waren die Zahlen nach einem Skandal jedoch gesunken. Damals hatten Transplantationszentren mutmaßlich Daten von Patienten auf Wartelisten manipuliert. „Durch den Spendermangel sind die Wartezeiten sehr lang, viel länger als bei mir damals“, sagt Chantal Bausch. Täglich sterben in Deutschland durchschnittlich drei Menschen, die auf der Warteliste stehen.
Enttäuschung über die Entscheidung des Bundestags
Laut DSO hat nur eine Minderheit der Bevölkerung ihren Willen zur Organspende schriftlich festgehalten. Deshalb hatte der Bundestag Anfang des Jahres über eine Neuregelung abgestimmt. Das Ergebnis enttäuscht Chantal Bausch. Die Mehrheit sprach sich gegen die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagene Widerspruchslösung aus. Organspenden bleiben somit weiterhin nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Spenders erlaubt. Chantal Bausch würde sich wünschen, dass sich jeder Mensch mit der Frage aktiv beschäftigt. Denn Umfragen zeigten, dass weit mehr Personen Organspenden positiv bewerteten als es Spendeausweise gebe. In Diskussionen stelle sie immer wieder fest, dass es an Informationen fehle und das Thema mit Angst besetzt sei.
„Ich möchte, dass auch das Positive gesehen wird“
Dass künftig Ämter und Hausärzte über die Organspende informieren sollen, hält sie dagegen für keine vielversprechende Lösung. „Es wird sich nicht groß etwas ändern.“ Noch am Abend der Abstimmung im Bundestag saß sie gemeinsam mit dem TV-Sportmoderator und Lebensgefährten ihrer Mutter, Jörg Wontorra, in der Radio-Bremen-Talkshow „3 nach 9“ und erzählte ihre Geschichte. Ihre Motivation: „Ich möchte, dass auch das Positive gesehen wird.“
Für die Masterarbeit arbeitete sie bei einem Kunstherz-Hersteller
Für sie selbst beginnt jetzt wieder ein neuer Lebensabschnitt: Gerade hat sie ihren Master in Betriebswirtschaftslehre absolviert. Darin hat sie untersucht, inwieweit telemedizinische Anwendungen bei Systemen zur Kreislaufunterstützung möglich sind. Vier Monate hatte Chantal Bausch dafür als Werkstudentin bei der Berlin Heart GmbH verbracht. Das Berliner Unternehmen stellt Systeme für die mechanische Herzunterstützung für Menschen mit Herzinsuffizienz her. Was sie nun beruflich nach dem Studium machen wird, ist noch unklar: „Ich denke, es wird etwas mit Gesundheitsbezug werden.“
Weltweit unterwegs, um bei Meisterschaften für Transplantierte dabei zu sein
Sicher ist indes, dass sie nach der Corona-Isolation sportlich wieder durchstarten will. Neben Hockey ist sie auch in anderen Sportarten aktiv: Regelmäßig macht sie mit bei den Meisterschaften für Transplantierte im Ski, Tennis und Golf. Sieben Jahre nach der Transplantation war sie auf Facebook zufällig auf die österreichischen Skimeisterschaften für Transplantierte gestoßen. Gemeinsam mit ihrer Mutter fuhr sie hin – erst skeptisch, erzählt sie. Doch die Skepsis hielt nicht lange an. Nach Südafrika, Argentinien, Spanien, England, Polen und in andere Länder führten sie die Wettbewerbe seither. „Vom Niveau her ist es sehr gemischt. Aber das ist nicht das Entscheidende. Das Miteinander ist relevant und es ist unheimlich schön, ein Teil davon zu sein.“ Dass wegen des Coronavirus alle Wettbewerbe in diesem Jahr abgesagt wurden, findet sie absolut richtig. Mit den anderen Mitstreitern tauscht sie sich trotzdem regelmäßig aus. „Wir Transplantierten haben regen virtuellen Kontakt – nicht nur deutschlandweit.“
Auf dem Platz sind die Gedanken ausgeschaltet
Über die Organspende will sie auch weiterhin sprechen, informieren und Fragen beantworten wie diese: Wie ist es, mit einem fremden Herzen zu leben? „Ich spüre nicht, dass es ein fremdes Organ ist“, sagt Chantal Bausch. Früher habe sie häufiger darüber nachgedacht, wer die Person wohl war, deren Herz sie in sich trägt. In Deutschland bleiben Spenden anonym. „Ich weiß nur, dass es ein männliches Herz ist, und dass er 18 war.“ Würde sie Kontakt zur Familie aufnehmen, wenn sie könnte? Dass das in den USA möglich ist, wenn beide Seiten es wollen, erfuhr sie im Gespräch mit einem US-Sportler. „Wenn es möglich wäre: ja. Ich würde die Familie gerne kennenlernen wollen, um Danke zu sagen und zu zeigen, was sie mir ermöglicht haben.“ Abitur, Führerschein, bisher schon eine Saison in der ersten Bundesliga im Hockey: „Ich vermute, dass sie es gut fänden.“ Der Sport wird in ihrem Leben eine Konstante bleiben. Er ist Ansporn und Gesundheitsförderung – körperlich wie mental. Die Hockey-Torfrau formuliert es so: „Wenn ich auf den Platz gehe, sind die Gedanken wie ausgeschaltet. Das ist fast meditativ.“