Seit Jahren versuchen Aktivisten eines Bremer Bündnisses immer wieder, Zwangsräumungen zu verhindern. Die Mitstreiter formieren sich dabei auch zu Sitzblockaden.
Die Aktivisten verteilen Flyer und Plakate in Lesum. Darauf steht, was wenige Tage zuvor in Gröpelingen passiert ist: Eine fast 70 Jahre alte Frau sei von ihrer Vermieterin aus der Wohnung geworfen wurde. Das Bremer Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ will, dass die Nachbarschaft Bescheid weiß. „Uns geht es darum, Druck zu machen und zu informieren“, sagt Marcel S. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen. Das Bündnis setzt sich für Mieter ein, die von einer Zwangsräumung bedroht oder betroffen sind.
In diesem Fall bleibt der Einsatz erfolglos. „Wir haben die Räumung um eine Woche rausgezögert, die Polizei hat uns sogar mit Platzverweisen belegt, aber mehr konnten wir nicht ausrichten“, erklärt Marcel S. Aufmerksamkeit wollten die Aktivisten dennoch auf den Fall lenken. „Das Recht auf Wohnen steht über dem Recht auf Profit. Wir wollen den Wohnungsmarkt vom Kapitalismus trennen“, fasst der Aktivist die Zielrichtung der Vereinigung zusammen.
Zwangsräumungen sind die letzte Eskalationsstufe eines Streits zwischen Mieter und Vermieter. 94 Räumungsklagen wurden in den ersten zehn Monaten dieses Jahres vor dem Amtsgericht Blumenthal verhandelt, 55 Wohnungen wurden bis November geräumt. Die Differenz ergibt sich dadurch, dass in einigen Fällen Schulden doch noch bezahlt werden oder Mieter freiwillig ausziehen. Bevor der Gerichtsvollzieher gerufen wird, bekommen die Betroffenen Zeit, um sich eine neue Wohnung zu suchen. Finden sie keine, kann dies für sie unter Umständen Obdachlosigkeit bedeuten.
Der erste Schritt, wenn Mieter in die Beratungsstelle des Bündnisses „Zwangsräumungen verhindern“ kommen, sei es deshalb, die Räumung möglichst abzuwenden. „Im Fall von Mietschulden reicht es, wenn diese beglichen werden. Zumindest wenn der Mieter nicht regelmäßig im Rückstand ist“, erklärt Herbert Thomsen, der ebenfalls dem Bündnis angehört. Es gebe die Möglichkeit des Räumungsschutzes. Dieser gewähre dem Mieter einen zeitlichen Aufschub der Räumung. Ein solcher Schutz kann beantragt werden, so Thomsen, wenn die Obdachlosigkeit droht.
Öffentlichkeitsarbeit um Menschen zu mobilisieren
Ist eine außergerichtliche Einigung nicht mehr möglich, begleiten Aktivisten des Bündnisses die Betroffenen zum Prozess. „Wir machen in solchen Fällen Öffentlichkeitsarbeit und versuchen, Menschen zu mobilisieren“, sagt Marcel S. Letzter Schritt sei die gemeinsame Blockade. „Hier kommt es darauf an, ob der Betroffene bereit dafür ist. Außerdem informieren wir die Nachbarschaft darüber, was passiert und wer die Verantwortlichen sind“, erläutert er weiter.
„Grundlage für jede Zwangsräumung ist ein vollstreckbarer Räumungstitel, also ein gerichtliches Urteil, das den Betroffenen verpflichtet, die Wohnung an den Berechtigten herauszugeben“, erklärt Richterin Stefanie Tönjes vom Amtsgerichts Blumenthal. Mit diesem Titel könne der Vermieter einen Gerichtsvollzieher beauftragen. Sollte der Mieter nicht freiwillig ausziehen, werden Räumungen von der Polizei unterstützt.
So zum Beispiel auch bei einer Wohnung in Vegesack. Rund 30 Aktivisten hatten im Februar die Gerichtsvollzieherin daran gehindert, eine Wohnung zu räumen. Auch die gerufene Polizei konnte die Situation nicht entschärfen. Polizei, Gerichtsvollzieherin und Möbelpacker zogen unverrichteter Dinge wieder ab. Geräumt wurde wenige Tage später allerdings trotzdem – mithilfe von Spezialkräften der Polizei.
Auf der Suche nach Kompromissen
Im Falle einer Zwangsräumung kommen die Kosten für den Prozess, die Möbelpacker und die Schlüsseldienste zu den Mietschulden hinzu. In vielen Fällen bleibt jedoch der Eigentümer auf diesen Kosten sitzen. „Mit einem Neuvertrag kann der Vermieter allerdings die Miete anheben, dadurch ist eine Räumung trotz der Kosten in manchen Fällen durchaus lukrativ“, glaubt Thomsen. Er geht davon aus, dass in der Summe mehr Menschen ihre Wohnung verlieren, als öffentlich bekannt wird.
Erfolgreicher als bei der Räumung in Vegesack war die Gruppe im April 2018 in der Grohner Düne. Dort konnte die Räumung einer Wohnung im letzten Moment verhindert werden. Die Bewohnerin war mehrere Monate Miete schuldig geblieben. Das Jobcenter hatte die Zahlungen an die Frau eingestellt. Gemeinsam mit dem Amt für Soziale Dienste, dem Bremer Erwerbslosenverband und einer Rechtsanwältin konnte das Bündnis im Gespräch mit Jobcenter und Vermieter eine Lösung finden – die Frau durfte bleiben.
„Sollte die Blockade nicht vor der Räumung schützen, versuchen wir Alternativwohnungen zu finden“, sagt Thomsen. Seit 2017 kämpfe das Bündnis für die Rechte der Mieter. „Es gab lange Zeit keine Zwangsräumungen hier bei uns in Bremen, dann kam es vor zwei Jahren plötzlich zu einer Häufung binnen weniger Wochen“, berichtet Thomsen. Bereits vor 25 Jahren habe er gemeinsam mit anderen Aktivisten eine Räumung verhindert. „Das wir etwas bewegen können, wussten wir. Dafür braucht man allerdings viele Leute“, fasst Thomson zusammen.
„Solche Aktionen erhöhen den Druck. Die Politik in dieser Stadt weiß, dass es nicht gut kommt, mit Miethaien zusammenzuarbeiten“, sagt Thomson. Verhindern könne man nicht alle Räumungen, aber zumindest könne man so den Blick für das Recht auf Wohnen schärfen. „Aktuell bearbeiten wir drei fristlose Kündigungen. In einem Fall haben wir eine mündliche Zusage, dass die Mietschulden übernommen werden. In den beiden anderen Fällen herrscht seit zwei Wochen Funkstille“, sagt Thomson. Es könne sein, dass das Bündnis wegen dieser Fälle bald wieder aktiv werden müsse.